Arbeitsvertrag, gekündigt von Billie

 

Es war beschlossen, die Fabrik zu schließen.

Der Betriebsrat und die Mitarbeiter wurden informiert, ebenso Stadt, Land und die Öffentlichkeit. Ein Fernsehteam reiste an und berichtete darüber in einer Regionalsendung, die örtliche Tageszeitung druckte einen Bericht und einen Kommentar.

 

Politiker von Stadt, Land und Bund sprachen die Firmenleitung an, um Möglichkeiten zur Weiterführung des Werks oder dessen Verkauf zu suchen und zu finden.

 

Die Firmenleitung, zu der ich als Werksleiter und Geschäftsführer gehörte, hatte ein Gespräch  mit dem Oberbürgermeister, dort trafen wir auf Vertreter der beiden größten Unternehmen des Ortes. Es gab danach noch einige Gespräche mit den Unternehmen, ein positives Ergebnis kam nicht zu Stande.

 

Wir sprachen mit dem Wirtschaftsminister, auch von dort kamen weder eine zündende Idee noch weiterführende Kontakte.

 

Eine international tätige Unternehmensberatung analysierte das Werk und den Standort, erstellte ein Expose auf Hochglanzpapier und verschickte es an Firmen, für die Gebäude und Lage interessant sein könnte. Die Reaktion war niederschmetternd. Kein Interessent meldete sich.

 

Ebenso waren Versuche gescheitert, das Werk mit einem Management Buy Out fortzuführen.

 

Aus der Bundeshauptstadt reiste schließlich auch noch ein Minister mit saarländischen Bundestagabgeordneten im Tross an. Wir stellten die Firma vor und erläuterten die Chancen, die wir für eine Fortführung sahen. Mehr als wohlwollende Worte bekamen wir nicht.

 

Parallel zu diesen Aktivitäten und Aktionen nahmen wir von der Firmenleitung Gespräche mit dem Betriebsrat auf, schlossen einen Interessenvergleich und verhandelten über einen Sozialplan. Der finanzielle Rahmen war uns von übergeordneter Stelle vorgegeben worden. In langwierigen Verhandlungen erstellten wir gemeinsam auch mit Vertretern der Gewerkschaft einen Sozialplan, der bis zur letzten zur Verfügung stehenden Mark ausgereizt wurde und an dem Tag, an dem die Kündigungen ausgesprochen werden sollten, ausdiskutiert und unterschriftsreif vorlag.

 

Firmenleitung und Betriebsrat traten zur Unterzeichnung zusammen und zur Überraschung der Firmenleitung verlangte der Betriebsrat eine Nachverhandlung und höhere Abfindungen, was etwa einer Steigerung von 60% gegenüber dem verhandelten Ergebnis entsprach.

 

Es war wirklich Fünf vor Zwölf, als die Firmenleitung nach kurzer Beratung dem Betriebsrat mitteilte, dass es entweder komplett neue Verhandlungen mit ungewissen Ausgang geben oder der Sozialplan unterschrieben werden könne.

 

Der Sozialplan war Punkt Zwölf von beiden Parteien ohne Änderung unterschrieben.

 

Die Kündigungsschreiben waren bereits vorbereitet wurden, mussten noch ausgedruckt und von den Firmenvertretern unterzeichnet werden.

 

Einer davon war ich. Zu meiner Person sollte ich noch sagen, dass ich von meinen Kollegen in der Personalabteilung durch Verballhornung meines Namens einen Kosenamen erhalten hatte, der Billie war. Im Sprachgebrauch innerhalb der Abteilung wurde offensichtlich ausschließlich dieser Name benutzt.

 

Während nun meine Kollegin, Geschäftsführerin und Personalleiterin, den weiteren Ablauf organisierte wie die Kündigungen überreicht werden sollten, begann ich damit, die rund 200 Schreiben zu unterzeichnen. Dieser Vorgang war eine Routinesache, nachdem vorher mehrmals die Richtigkeit der Namen und Zahlen geprüft war.

 

Allerdings merkte ich, nachdem ich so etwa 20 mal unterschrieben hatte, dass irgendwas mit meinem Namen, über den ich die Unterschrift setzen musste, nicht stimmte. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, dauerte es weitere 20 unterschriebener Verträge, bis ich realisiert hatte, was da war. Man hatte meinen Vornamen mit B wie Billie abgekürzt, und mit B fängt mein richtiger nun nicht an.

Schreck! Wären diese Kündigungsschreiben ungültig?

 

Nochmaliges Prüfen, ob das denn wirklich so war – fast hätte ich noch mal auf meinem Personalausweis nachgeschaut wie ich heiße -, und nach kurzer Rücksprache gingen sämtliche unterzeichneten und die restlichen, inzwischen ausgedruckten Kündigungen in den Reißwolf. Alle Verträge bekamen nun die richtigen Buchstaben meines Vornamens, wurden neu ausgedruckt und meine Arbeit begann von Neuem.

Schließlich erhielten alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fristgerecht die traurige Botschaft, die sie bisher nur mündlich erhalten hatten, schriftlich.

 

Diese letzte Aktion spielte sich 6 Wochen vor dem Jahresende ab, da die Produktion zu diesem Zeitpunkt eingestellt werden sollte und die meisten Mitarbeiter und –innen eine Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Ende des Quartals hatten.

 

Die Produktion lief am 23. Dezember wie geplant aus. Alle Gekündigten arbeiteten mit größter Sorgfalt bis zu ihrem letzten Arbeitstag. Eine fast unglaubliche Leistung in solch einer Situation. Die Geschichte hat sich vor mehr als einem Dutzend Jahren ereignet. Sollte jemand von den Betroffenen diese Zeilen lesen, dann hoffe ich, es geht ihm gut und

 

Beste Grüße von

 

Billie

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